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Keine Lautsprache - Kommunikation ermöglichen

Wenn das eigene Kind nicht zu sprechen beginnt, ist das für viele Eltern ein großes Problem. Ich schließe mich da an. Schon oft habe ich über unsere Bemühungen, Philipp anderweitige Kommunikationsmöglichkeiten nahezubringen, geschrieben. Wie wichtig dies auch ist. Auch wir haben damit viel zu spät angefangen, zu lange darauf vertraut, gehofft, dass er lautsprachlich mit uns kommunizieren wird, wenn wir nur darauf warten und ihn dahingehend fördern. Immer wieder treffe ich Menschen, die genau vor diesem Problem stehen. Das Kind redet nicht und Eltern, die sich schwer damit tun, ihrem Kind eine andere Art der Kommunikation zu ermöglichen. Unzureichende Informationen und falsche Beratung ist oft ein Grund. Ich schreibe diesen Artikel nicht, weil wir es besser gemacht haben. Ich schreibe dies, damit es andere besser machen können.

Unser Philipp ist ja schwerhörig auf die Welt gekommen. Eine Diagnose, die einem anfänglich den Boden unter den Füßen wegzieht. Es war für uns völliges Neuland und wir mussten uns auf viele Dinge einlassen. Nur zu gern nimmt man da die schon fast tröstenden Worte eines Facharztes an, dass heutzutage Kinder mit einer Schwerhörigkeit so gut und früh versorgt sind, so dass sie kaum Beeinträchtigungen im Leben haben. Sprachlich kaum Probleme haben. Eine normale Entwicklung wird prognostiziert. Kurz um gesagt. Man muss sich keine Sorgen machen. So der Eindruck. Nach wie vor wird Eltern nicht geraten die Gebärdensprache mit ihrem Kind zu erlernen. Dabei wäre es so wichtig, bereits im Babyalter mit den Kindern zu gebärden. Nur so haben sie einen natürlichen Bezug zu dieser Sprache und haben bereits ein Kommunikationsmittel zur Hand, wo sie lautsprachlich vieles noch nicht verstehen.

Doch viele scheuen sich davor, es ist befremdlich mit seinem Kind in einer quasi anderen Sprache zu kommunizieren. Und ja, es ist so. Es ist schwierig. Und nicht selbstverständlich. Immer wieder Gebärden in den Alltag einzubauen, ständig darüber nachdenken, wie noch mal die Gebärde ging. Gebärde ich richtig? Es dauert einfach seine Zeit bis es in Fleisch und Blut übergeht und man flüssig gebärden kann. Es ist ein wirklich langer Weg. Aber unsere Kinder gebärden selbst nicht fließend, sie richten nicht über unser "bröckchenhaftes" gebärden. Sie stehen, wie wir ganz am Anfang. Aber sie profitieren von unseren Versuchen ihnen einen bildhaften Zugang zu Sprache zu ermöglichen.

Eine andere Form der bildlichen Sprache basiert auf Piktogramme. PECS und Metacom ist sehr vielen ein Begriff. Unser Philipp blüht regelrecht auf, seitdem wir Metacom benutzen. Bilder am Wochenplan, vereinzelte Piktogramme hatten wir schon sehr lange, aber die Symbole von Metacom haben bei ihm noch einmal einen Durchbruch in Sachen Kommunikation gebracht, der uns wirklich in Erstaunen versetzt hat. Ich kann es wirklich nur empfehlen. Und hier noch mal als Tipp, man kann die Metacom-Sammlung über die Krankenkasse beantragen. Ein Rezept vom Kinderarzt bei der Krankenkasse einreichen, reicht meist schon aus (hier die Hilfsmittelnummer: 16.99.99.3001).

Doch auch die Symbolsammlung dann Zuhause zu haben, für das Kind einen Talker zu beantragen, heißt nicht, dass das Kind dann darauf zurückgreift und anfängt zu kommunizieren. Auch diese Sprache muss wie Lautsprache gelernt werden. Heißt für uns Eltern wieder, man muss sich damit auseinandersetzen, die Sprache vorleben. Das sogenannte Modelling, wozu es zahlreiche Videos im Internet gibt. Was zunächst einfach aussieht, mit Symbolen zu kommunizieren, ist wirklich mühsam und braucht viel Geduld. In jeder Situation selbst das Kommunikationsbuch zur Hand nehmen, auch wenn keine Reaktion darauf erfolgt, oder das Kind nicht aktiv damit kommuniziert. Kommunikation wird dadurch sehr langsam und zeitraubend. Aber die Erfolge kommen. Sie werden aber nicht kommen, wenn das Kind nicht weiß, dass es mit seiner Art der Kommunikation auch jemanden erreicht. Warum sollte ich einem Franzosen eine Geschichte auf deutsch erzählen, wenn er diese nicht versteht.

Nonverbale Kinder haben ein Mitteilungsbedürfnis, sie haben nur keine oder nur begrenzt Möglichkeiten dies uns auch zu zeigen. Das Ergebnis ist Verzweiflung, Wut und ein Gefühl, nicht gehört zu werden. Wen wundert es da, dass unsere Kinder scheinbar gar kein Bedürfnis haben zu kommunizieren. Sie haben nie gelernt, dass es sich lohnt zu kommunizieren. Der Lautsprache nicht mächtig und der Möglichkeit anders zu kommunizieren regelrecht beraubt, da sie es nicht angeboten bekommen. So verstummen sie auf allen Kanälen. Hilflos. Im Stich gelassen.

Unser Sohn ist jetzt 7 Jahre und diese Erkenntnis ist über die Jahre in uns gewachsen. Als schwerhöriges Kind mit guter Entwicklungsdiagnose wurde aus ärztlicher Sicht lange abgewartet bis man seine sprachliche Entwicklung als problematisch eingestuft hat. Der Verdacht auf Autismus kam ja erst später dazu und spielte in den anfänglichen Jahren und Therapien keine Rolle. Aber auch ohne Schwerhörigkeit hätten Ärzte nicht früher einen Handlungsbedarf gesehen. Selbst für autistische Kinder kommt Hilfe ja meist erst spät. Oft ist es das Verhalten und eben die ausbleibende Sprache, die erst viel zu spät ernst genommen wird, die Eltern überhaupt alarmieren. Doch bis zur Diagnose, alleine der Weg vom Kinderarzt zur nächsten Stelle, dauert leider noch viel zu lang. "Manche brauchen einfach noch ein bisschen Zeit." Doch wieviel Zeit ist für unsere Kinder erträglich? Wieviel Zeit ist Eltern zumutbar, die täglich mit ihren verzweifelten, in Wut verfallenden, Kindern zu kämpfen haben?

Bekommt man dann Hilfe, ist es nicht immer unbedingt die richtige Therapie. Philipp seine erste Logopädin hat zwar zumindest mit ihm das Gebärden angebahnt, allerdings war ihr grundsätzlicher Therapie-Ansatz darauf ausgerichtet, dass sie mit ihm die Einzellaut-Anbahnung übt - ganz gemäß seiner Schwerhörigkeit. Ich hab oft gesagt, dass sein Problem nicht in der Artikulation liegt bzw. dieses nicht vordergründig seine Hauptschwierigkeit war, sondern dass er einfach komplett das kommunizieren verweigert, scheinbar Sprache nicht braucht. Heute wissen wir, es war die falsche Sprache. Er hatte einfach keinen Zugang zur Lautsprache. Zumindest zu diesem Zeitpunkt.

Wir hatten schlimme Zeiten. Zeiten, wo Philipps Verzweiflung schier endlos war, seine Wut unseren Alltag bestimmte, was zwar sicherlich noch mehr Gründe hatte als fehlende Kommunikation, aber teilweise auch darin begründet war. Viele Tage an denen wir verzweifelt waren, was aus unserem Philipp mal wird. Traurig darüber waren, dass er nicht mit uns redet. Die Sehnsucht nach einem gesprochenen "Mama" so groß war.

Wir haben aber nicht aufgegeben. Haben andere Wege eingeschlagen und wenn wir bis jetzt auch nur einen Bruchteil von dem mit kommunizieren, was wir beispielsweise mit seinem kleinen Bruder reden können, so ist es doch eine so bereichernde und schöne Erfahrung für uns alle. Philipp öffnet sich mehr und mehr. Er kann sich mitteilen. Ist nicht mehr alleine in seiner Welt. Und vor allem, er ist nicht mehr hilflos.

Gebt euren Kindern eine Stimme. Auch wenn sie nicht lautsprachlich mit euch reden, sie können und möchten sich mitteilen. Gebt ihnen ein Mittel an die Hand und ihr werdet einen Zugang zu euren Kindern finden.