Der frühe Vogel fängt nicht immer den Wurm - Ab wann gibt es eine Diagnose?

Bei einer Schwerhörigkeit ist die Diagnose meist sehr früh gestellt. Dank des eingeführten Neugeborenen-Hörscreenings wissen Eltern in der Regel meist schon sehr früh, wenn das Kind eine angeborene Hörbehinderung hat. Anders hierzu ist eine Autismus-Diagnostik nicht so einfach und vor allem mit zusätzlicher Behinderung oftmals schwer zu differenzieren. Eltern machen sich daher oft Sorgen, nicht schnell genug eine Diagnose zu bekommen. Man spürt, dass mit dem eigenen Kind etwas anders ist und möchte einfach Klarheit haben. Verständlich. Aber auch, wenn es immer mehr Fälle gibt, wo bereits im Kleinkindalter eine feste Diagnose gestellt wird, ist es kein Grund in Panik zu verfallen, wenn bis zum Schuleintritt immer noch nichts diagnostiziert wurde. Hilfen, Therapien sind speziell bei Mehrfachbehinderung auch vorher schon möglich und Eltern selbst können durch Eigeninitiative fürs erste viel erreichen.

Es ist leider so. Nach wie vor ist es noch relativ schwer eine frühe Diagnose für das Kind zu bekommen. Obwohl Symptome, wie bei frühkindlichen Autismus schon im Kleinkindalter zu beobachten sind, steht doch für viele die Diagnose erst mit sechs Jahren, wenn sie eingeschult werden oder gar noch später. Asperger-Autisten werden oftmals noch viel später diagnostiziert. Zu spät für die Eltern, die wertvolle Zeit verstreichen sehen und auch spezialisierte Einrichtungen plädieren vermehrt für eine frühe Diagnostik. So hört man jetzt auch immer öfter, dass Kinder noch weit vor dem dritten Lebensjahr diagnostiziert werden. Man möchte so durch gezielte Frühförderung und Therapien die Kommunikation und soziale Interaktion verbessern.

Doch gerade bei "milden" Formen der Autismus-Spektrum-Störung oder eben auch wenn Vorerkrankungen oder andere Behinderungen, wie eine Schwerhörigkeit oder kognitive Entwicklungsstörung vorliegen, ist es sehr schwierig zu differenzieren. Ärzte  wollen oder können sich nicht festlegen oder es kommt zu Fehldiagnosen. Hinzu kommen teilweise unzureichende Kenntnisse über Autismus selbst bei Fachpersonal. Man kämpft an so vielen Fronten mit Klischees und völlig veralteten Ansichten über Autismus. Eine frustrierende Situation für Eltern, die Hilfe und Unterstützung suchen.

Wir stehen mit unserem Philipp genau vor diesem Problem. Seine angeborene Schwerhörigkeit wurde ja dank Neugeborenen-Hörscreening und der daraufhin eingeleiteten Diagnostik relativ früh festgestellt. Alles schien, den Verhältnissen entsprechend, in Ordnung zu sein. Die Schwerhörigkeit ist lange die Erklärung für alles und wie auch bei uns, sind es meist wir Eltern, die zuerst Zweifel hegen. Äußert man seine Bedenken, wird man meist lange beschwichtigt. Man solle seinem Kind ruhig noch Zeit geben. 

Erst wird Eltern Druck gemacht, wie wichtig eine gezielte Förderung und eine frühe Versorgung mit Hörhilfen ist und dann soll man Ruhe bewahren. Ständig bekommt man das Gefühl mit seinen Sorgen nicht ernst genommen zu werden.

Jetzt hat man bei einem Kind, das schwerhörig ist, zumindest schon mal den Vorteil, dass der Anspruch auf Förderung in verschiedener Form gegeben ist. Hörfrühförderung wird schnell nach der Diagnose gestartet und auch Logopädie wird meist ohne eine begrenzte Anzahl von Einheiten verschrieben. Wenn man dann schon die ersten Schritte einer weiteren Diagnostik hinter sich hat und vielleicht weitere Störungen, wie eine Entwicklungsstörung, festgestellt wurden, dann sind auch weitere Therapien möglich.

Doch bis dahin ist es meist ein weiter Weg, der frustrierend ist und besorgte Eltern erfahren oft viel zu wenig Unterstützung.

Für uns war das so nicht akzeptabel. Als wir merkten, dass wir keine großartige Hilfen erwarten konnten, haben wir die Sache selbst in die Hand genommen. Ich habe Fördermöglichkeiten recherchiert, Bücher gelesen und gemeinsam haben wir die Erkenntnisse im Alltag umgesetzt. Nach nun etwas mehr als drei Jahren können wir sagen, dass sich sehr viel getan hat. Philipp hat sich weiterentwickelt und unser Alltag ist zwar anstrengend und voller Fallen, aber leichter geworden.

Wenn wir heute eine Diagnose für Philipp bekommen, wird es für uns persönlich nicht mehr viel ändern. Klar, das Kind hat dann einen Namen und man kann sagen, mein Kind ist Autist. Letztlich wird es aber lediglich ein Arztbericht mehr in Philipp's Ordner sein. Die Art und Weise, wie wir mit unserem Philipp umgehen, wird sich aber nicht mehr ändern.

Man muss definitiv nicht auf eine Diagnose warten. Es gibt heutzutage zum Glück jede Menge Möglichkeiten, um sich zu informieren. Und das gibt uns die Fähigkeit zu handeln. Auch, wenn eine Diagnose gestellt wird, nehmen einen die Ärzte nicht an die Hand  und zeigen uns Eltern, was zu tun ist. Darum habt den Mut, wartet nicht länger und werdet selbst aktiv.