Ich hatte meine Familie gebeten einmal ihre Sicht der Dinge zu schreiben, wie sie die Situation mit Philipp erleben. Was
sie darüber denken. Ich hatte ausdrücklich gebeten, dass sie einfach ehrlich schreiben sollen. Eine meiner großen Schwestern war nun die erste, die mir gestern folgenden Text schrieb. Ich hab
einiges erwartet und vor allem Angst, dass Dinge kommen würden, was wir vielleicht alles falsch gemacht haben. Was aber dann kam, hat mich mehr als überrascht und es hat mich echt zum weinen
gebracht. Es ist der Beweis, dass man nie aufhören sollte offen über Dinge zu reden, schon gar in der Familie...
"Hallo,
ich bin Manuela und eine Tante von Philipp. Meine Schwester hat mich gebeten mal meine Sicht über Philipp zu schreiben.
Bis zu der Diagnose Schwerhörigkeit war Philipp ein glücklicher, wenn auch ein ziemlich wilder kleiner Junge. Als dann die Hörgeräte kamen, dachte ich jetzt
wird’s leichter für Philipp, dass er sich nun endlich verständlich machen könnte . Aber genau das Gegenteil trat ein. Er wurde zunehmend aggressiver und wirkte zeitweise überfordert mit der
ganzen Situation. Was mir auch auffiel, um so wilder Philipp wurde, um so weniger wollte auch meine Schwester außer Haus gehen. Das machte mich sehr betroffen. Denn sie, genau wie mein Schwager,
sind eigentlich sehr gesellige Leute. Meine Schwester merkte bestimmt, dass nicht nur sie, sondern auch alle anderen aus der Familie mit dem Verhalten von Philipp überfordert waren. Vielleicht
dachte sie auch, dass wir alle denken, sie könnte den Kleinen nicht erziehen. Als dann so überhaupt keine Besserung bezüglich der Kommunikation eintrat, begann meine Schwester vermehrt sich mit
der Thematik auseinandersetzen. Letztendlich stand dann der Verdacht auf Autismus im Raum. Dadurch verstanden wir zwar manche Situationen besser, der Umgang mit Philipp war oder ist zeitweise
aber nach wie vor schwierig. Das Problem ist, dass man nie weiß, wie oder warum Philipp auf etwas reagiert. Dazu kommt, dass er Gefahren überhaupt nicht einschätzen kann.
Einmal war ich mit Philipp alleine beim Bäcker und wollte ihm etwas kaufen. Da er mir aber nicht sagen konnte was er möchte, war raten angesagt. Selbst so ein
kleiner Einkauf, war für mich schon durchaus eine Herausforderung. Ich hoffte also nur, dass ich es schnell erraten würde, da ich nicht wusste
ob er mangels meiner Fantasie wütend wird und vielleicht auch noch auf die Straße läuft. Durch solche oder ähnliche Situationen überlegt man es sich, ob man mal auf den Kleinen für ein paar
Stunden aufpasst. Auch wenn es keiner so direkt ausspricht, warum man nicht so gerne auf ihn aufpassen möchte, wusste und weiß meine Schwester den Grund sehr genau und hat sich dadurch noch
weiter zurückgezogen. Das hatte zur Folge, dass sich auch Philipp immer weiter zurückzog. Ein Teufelskreis!! Nur man fühlt sich als Außenstehender relativ hilflos. Und die allgemeine Aussage "Das
wird schon" ist nicht wirklich hilfreich.
Mittlerweile gibt es aber Fortschritte. Kleine Schritte, aber für den kleinen Mann sehr große. Er versucht durch Gebärdensprache sich mitzuteilen, gelingt nicht
immer, aber es wird. Wenn man ihm die Zeit lässt zu reagieren, lässt er sich auch auf neue Abenteuer ein.
Über diese Entwicklung freue ich mich riesig für ihn und meine Schwester hat meinen größten Respekt für das, was sie die ganze Zeit leistet. Wahrscheinlich wäre
Philipp jetzt nicht da, wo er momentan ist.
Er ist ein kleiner Sonnenschein, der sich sehr bemüht mit dem Alltag zurecht zu kommen. Dafür hab ich ihn einfach sehr lieb ❤."
Jedes einzelne Wort ist so wahr. Ja, ich hatte mich zurückgezogen. Ich hatte, das Gefühl, dass man Philipp nicht "wollte". Und ja, ich hatte auch immer das Gefühl,
dass alle denken, wir würden etwas falsch machen mit Philipp. Vielleicht hätten wir einfach mal offener reden müssen.
Liebe Manuela, du sagst ihr wusstet manchmal auch nicht, wie ihr mit Philipp umgehen sollt. Aber darf ich dich daran erinnern, wer unseren kleinen Philipp, als er
ein Baby war, beinahe auf jeder Familienfeier beruhigt hat? Jedes mal hat er geweint und geweint und hat sich durch nichts beruhigen lassen, nicht durch mich, nicht durch den Papa. Wir waren
einfach zu nervös vielleicht, zu gestresst, weil es schon vorprogrammiert war, dass Philipp wieder zu schreien beginnen würde. Deine Ruhe und deine bunten Halstücher an denen er sich festgesehen
hatte, waren der Grund, warum er dann doch immer wieder mal zur Ruhe kam. Danke!
Danke für deine Worte!