· 

Wenn Schafe zählen nicht hilft und der Hahn schon um 3 Uhr kräht

 

Wer braucht schon Schlaf? Ist schlafen nicht völlig überbewertet? Man könnte fast meinen, dass für Philipp schlafen wirklich eine lästige Nebensache des Lebens ist. Aber das war nicht immer so.

Was waren wir stolz auf Baby Philipp. Wir waren kaum vom Krankenhaus zuhause und schon klappte das mit dem Durchschlafen nachts. Ja, durchschlafen! Ich weiß noch genau, wie erschrocken ich morgens um kurz vor 7 aufwachte, nach unserer ersten Nacht zuhause, und dachte: "Oh mein Gott, ich hab den armen Philipp nicht gehört, weil ich so fest geschlafen hab". Ein schlechtes Gewissen überkam mich, dass mein süßes Baby nachts nicht gestillt wurde. Und natürlich überkam mich der schreckliche Gedanke, ob er denn schon noch atmete. Schließlich sollte er doch nachts wach werden und hunger haben. Unmöglich, dass er einfach so durchgeschlafen hatte. Und dann schaute ich in seine Wiege und da liegt er, ganz friedlich schlummernd. Ab da ging es mehr oder weniger so weiter. Ganz sicher, wir hatten riesiges Glück ein so einfaches Kind bekommen zu haben.

Aber es sollte ja nicht so bleiben....

Zunächst verlief alles reibungslos, selbst der Auszug aus unserem Bett in sein eigenes Bett und Zimmer. Alles hat Philipp so mitgemacht, kein weinen, nichts. Ein glückliches Baby (was das Schlafengehen betraf). Mit einem guten Jahr fing es dann an, dass er abends immer geweint hatte, wenn wir ihn ins Bett brachten. Es war jeden Abend das gleiche Ritual, gemeinsam kuscheln und dann ins Bett legen und das war gut so für ihn. Aber plötzlich eben nicht mehr. Er weinte und weinte. Erst nach mindestens zwei Stunden konnten wir ihn hinlegen. Es wurde aber immer extremer. Ich sang für ihn, wiegte ihn im Arm, mit Nachtlicht ohne Licht, Tür auflassen, alles haben wir versucht, aber es änderte nichts daran, dass er nicht mehr ohne Schreien einschlief.

Irgendwann, wir waren mittlerweile in unser jetziges Haus gezogen und ich war bereits schwanger, war es dann so extrem, dass er nicht einmal mehr in seinem Bett liegen blieb. Ich legte ihn in sein Bett, sang ihm seine Gute-Nacht-Lieder vor, kuschelte mit ihm bis er halbwegs runterkam. Anders brauchte ich es gar nicht erst versuchen das Zimmer zu verlassen. Doch das änderte nichts daran, dass ich mehrmals am Abend noch mal in sein Zimmer musste um ihn wieder hinzulegen. Er kletterte immer und immer wieder aus seinem Bett heraus. Das ganze zog sich dann gerne bis Mitternacht so hin. Ich war wirklich verzweifelt, zumal ich zu diesem Zeitpunkt abends aufgrund der Spätschicht meines Mannes immer alleine war.

Irgendwann habe ich dann wirklich aufgegeben. Ich konnte zu diesem Zeitpunkt einfach nicht mehr. Also haben wir es uns allabendlich gemeinsam in unserem Bett oder auf der Couch gemütlich gemacht und wir haben tausende male entweder "Eiskönigin" oder "Dschungelbuch" angeschaut. Bis der Papa nach Hause kam, hat er dann doch geschlafen und mein Mann hat ihn ins Bett getragen. Uns ist schon klar, dass das nicht das beste so war, aber wie gesagt, ich hatte zu dem Zeitpunkt einfach nicht mehr gewusst, was ich noch tun soll.

Diese zweite Phase, in der er diese Einschlafprobleme hatte, ging lange. Bis ins Alter von 3 Jahren gehörte das eigentlich zu unserem täglichen Programm und dann wurde es zeitweise besser und wieder schlechter. Wir hatten dann langsam, auch weil wir mehr und mehr merkten, dass er in vielerlei Hinsicht anders ist, einiges in unserem Leben überdacht und auch was wir alles mit ihm anders machen müssten. Das führte dazu, dass wir unseren Alltag anfingen mehr zu strukturieren, auch für ihn verständlich zu strukturieren. Was unabdingbar war, um diese Einschlafprobleme zu vermeiden, feste Schlafenszeiten. Keine abgeänderten Schlafenszeiten fürs Wochenende oder Ferien. 

Es kam die Zeit da waren wir dann schließlich soweit, dass er, zwar nur im Beisein von mir oder dem Papa, innerhalb von einer oder eineinhalb Stunden eingeschlafen ist. Aber wenn eine Sache funktioniert, wartet ja meist schon das nächste Problem um die Ecke. Nun beschloss der liebe Philipp mitten in der Nacht aufzustehen und durchs Haus zu wandern, teilweise so leise, dass wir es gar nicht gehört hatten. Er ging dann ins Wohnzimmer runter, saß dann da im Dunkeln und mampfte glücklich Schokolade, die er sich aus dem Schrank geholt hatte. Mal bastelte er irgendwas weiter, was er tags zuvor angefangen hatte oder er schaltete sich den Fernseher an. Und so blieb er gut und gerne zwei bis drei Stunden oder für den Rest der Nacht wach. Nächte über Nächte schlugen wir uns so um die Ohren und gingen zeitweise echt auf dem Zahnfleisch.

Probleme rund ums Schlafen kommen bei Menschen mit Autismus oder geistigen Behinderungen sehr häufig vor. Bei uns sind es immer wieder Einschlafprobleme und auch Durchschlafprobleme. Vor allem, wenn ein Tag sehr anstrengend, sehr aufregend war, dann merkt man es wieder extrem, dass er noch weniger zur Ruhe kommt als sonst eh schon. Oder der absolute Horror, jedesmal zur Zeitumstellung. Danach brauchen wir wirklich wieder Wochen bis er wieder einigermaßen im Rhythmus ist.

Wir achten sehr auf einen strukturierten Tagesablauf, einen immer gleich bleibenden Tag-Nacht-Rhythmus, haben auch eine Gewichtsdecke für ihn, die anfänglich Besserung hoffen lies, probieren Lavendelbäder etc. Nichts hat das Problem gänzlich beseitigt und wir hangeln uns immer weiter von guten zu schlechteren Schlafphasen.

Wir haben akzeptiert, dass wir den Schlaf nehmen müssen, wie wir ihn bekommen. Genauso haben wir es so hingenommen, dass er von heute auf morgen panische Angst vor seinem Hochbett hatte, seitdem auf einer Matratze schläft und auch kein neues Bett haben will. Noch liegt seine Matratze neben dem Bettchen seines Bruders. Noch stört es Florian nicht, dass Philipp abends neben ihm liegt und seine Geräusche beim Einschlafen macht. Irgendwann wird er nicht mehr einschlafen können, denke ich mal, wenn Philipp so unruhig ist. Ich hoffe, dass Philipp bis dahin alleine schlafen kann, ohne dass er seinen Bruder als Sicherheit neben sich braucht.

Philipp ist besonders. Er lebt besonders. Er schläft besonders.

Schafe zählen hilft bei ihm nicht und sein Hahn kräht auch schon mal um 3 Uhr.