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Die Sonne und ihre Schatten

Ich dachte immer wir leben in einer modernen und aufgeklärten Gesellschaft. Doch ist das so? Mehr als einmal mussten wir das die letzten Jahre in Frage stellen.

In einer Zeit, wo der Egoismus der Menschen scheinbar immer größer wird, ist kein Platz für "Andersartigkeit". Rücksichtnahme und Toleranz gegenüber anderen Menschen ist für viele fremd.

"Mit so etwas muss ich mich nicht befassen, es betrifft mich ja schließlich nicht."

Vielleicht liegt es auch in der Natur des Menschen, sich nicht mit den Schattenseiten des Lebens auseinanderzusetzen. Dabei warten so viele wunderbare Menschen im Schatten nur darauf, dass man ihnen die Hände reicht und mit ihnen ein paar Sonnenstrahlen genießt.

Jeder kann schon morgen betroffen sein.

Jeder kann morgen schon durch einen Unfall sein Bein verlieren, gehörlos werden, wird Mutter oder Vater eines besonderen Kindes, der Nachbarsjunge ist Autist, die Schwester bekommt ein Kind mit Down-Syndrom, vielleicht geht das eigene Kind mit besonderen Kindern in den Kindergarten oder in die Schule. Was sagt ihr zu euren Kindern, wenn sie sagen, dass dieses eine Kind immer so komisch ist, mit ihnen nicht redet, oder immer schreit und vielleicht aggressiv ist?

Nichts?

In den meisten Fällen, das erkennt man am Verhalten der Kinder, ist es wohl eher etwas in dieser Richtung:

"Geh diesem Kind einfach aus dem Weg. Du musst nicht mit dem Kind spielen."

Die nächste intolerante Generation wächst heran. Ein Urteil wurde über ein Kind gefällt, das man gar nicht näher kennt. Von dem man oft nicht einmal die Besonderheit (um nicht zu sagen die Behinderung) kennt, vielleicht weil man sie nicht sieht oder weil man gar nicht danach fragt. Im Zweifel nicht nachfragen, gehört sich irgendwie nach wie vor nicht in unserer Gesellschaft, dass man offen so ein Thema anspricht. Liebe (interessierte) Eltern, wir erzählen euch gerne über die Besonderheiten unserer Kinder. Nicht um uns wichtig zu machen. Nein. Wir freuen uns nur, wenn andere Menschen verstehen. Verstehen wie unsere Kinder sind und sie nicht aufgrund von Unwissenheit bewerten.

Unser Philipp war jetzt fast drei Jahre im Kindergarten und eine einzige Mama hat sich wirklich ausführlich erkundigt, was jetzt genau mit ihm los ist. Ihre Tochter hätte ein wenig Angst vor ihm gehabt und sie hätte ihr dann erklärt warum Philipp manchmal so anders ist und einfach auch nicht spricht. Daraufhin hat sich die Mama bei mir rückversichert, ob sie das denn richtig erklärt hat.

Leider ist das die große Ausnahme. Keine Einladungen zu Spiele-Nachmittagen, keine Einladungen zu Geburtstagsfeiern, keine Freunde. So sieht die traurige Realität aus. Ich nenne es mal geleitete Akzeptanz durch die Erzieher.

Integration ein nettgemeinter Versuch die Menschen per Gesetz zu zwingen sich mit behinderten Menschen abzugeben?

Natürlich kann man Freundschaften nicht erzwingen, aber Kinder spiegeln das wieder, was wir ihnen vermitteln. Und wenn man sich entschließt sein Kind in eine integrative Kindergarten-Gruppe zu geben, sollte man sich zusammen mit seinem Kind mit den Besonderheiten dieser Kinder auseinandersetzen.

Alles was wir Eltern besonderer Kinder uns wünschen ist Toleranz und Akzeptanz. Wir möchten nicht, dass unsere Kinder angestarrt oder bemitleidet werden. Wir möchten auch nicht, dass unsere Kinder aufgrund ihres Verhaltens, das Teil ihrer Besonderheit ist, bewertet und abgegrenzt werden.

Geht ein bisschen offener durchs Leben und tragt das Wissen in euch, dass manche Kinder für ihr Verhalten nichts dafür können, aber ansonsten wie eure eigenen Kinder sind. Mit den gleichen Bedürfnissen nach Liebe, Geborgenheit, Freundschaft und Akzeptanz. Stellt euch nur mal vor, wie es für euch wäre, wenn euer Kind zum Außenseiter gemacht wird, ohne, dass euer Kind etwas daran ändern kann.

Unsere besonderen Kinder leben im Schatten, aber auch sie lieben die wärmende Sonne. Wir Eltern leben in der Sonnenwelt, wir existieren hier, aber unser Herz hängt an der Schattenwelt. Es gibt Zeiten, da wird man regelrecht hineingezogen, fühlt sich manchmal sogar darin sicher. Keine schiefen Blicke, die man ertragen muss, kein Kopfschütteln, keine ständigen Erklärungsversuche und wenn auch nur für einen Moment, seinem Kind näher zu sein als sonst. Aber wir sind nun mal Sonnenmenschen und müssen wieder aus dem Schatten treten. Sind wieder einen Schritt unseren besonderen Kindern voraus. Manchmal gelingt es uns, unser Schattenkind mit in die Sonne zu nehmen, aber sie vertragen nun mal nur begrenzt die Sonne. So verschwinden sie wieder im Schatten und die Bemühung auf ein Leben Hand in Hand mit unseren Kindern durchs Leben zu gehen, beginnt von vorne.

Ja, wir sind Sonnenmenschen.

Unser Sohn lebt im Schatten.

Das Schicksal wollte es so. Auch wenn wir es uns manchmal wünschten, dass uns dieser Schatten nicht folgt, er tut es. Und immer wenn die Sonne steigt, der Schatten kürzer wird und unseren Philipp zeigt, sind wir so glücklich, dass uns dieser Schatten folgt.

Denn eines ist klar.

Der Schatten gehört zur Sonne, so wie Philipp zu uns und besondere Kinder zur Gesellschaft.

Darum schließt sie nicht aus. 

Akzeptiert sie.

Bemüht euch um sie.

Und ihr werdet sehen, dass ein Kind vor euch steht, dass auch einfach nur dankbar für ein bisschen Sonne in seiner sonst so dunklen und kühlen Schattenwelt ist.