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Hurra, wir fahren nach München!

Philipps Kindergartengruppe hatte einen wunderschönen Ausflug geplant. Mit dem Zug geht's ab nach München in die Mitmach-Ausstellung des Kindermuseums "Mach mit". Eine Baustellen-Ausstellung, in der die Kinder selbst gestalten und ausprobieren können.

"Ist ja voll Philipp sein Thema" sagte ich noch zur Erzieherin, als ich von dem Ausflug erfuhr und "Züge findet Philipp ja sowieso total interessant". Wir freuten uns für ihn über das tolle Vorhaben und warteten auf den Tag. Philipp ahnte von seinem Glück wieder mal eher wenig. Ich hatte es ihm zwar die ganze Woche immer wieder gesagt und gezeigt, dass er mit allen Kindern und seiner "Schuhu-schuhu" (so nennt er seine Erzieherin) Zug fahren darf, aber so richtig war es nicht angekommen.

Gestern war es dann soweit, der Tag des Ausflugs war gekommen und wir machten uns morgens gemeinsam auf den Weg zum Bahnhof. Florian blieb so lange bei der Oma zuhause. Wir fuhren auf den Parkplatz und stiegen aus. Philipp schaute etwas unsicher und fragend umher. Er kannte den Bahnhof bisher nur vom Vorbeilaufen. Der Anblick der bereits wartenden Kinder am Bahnsteig beruhigte ihn aber nicht und man sah ihm an, dass ihm nicht besonders wohl war. Er saß sich auf die Bank neben ein anderes Mädchen und war sehr ruhig.

Vielleicht wäre es gut gewesen, wenn der Zug an dieser Stelle einfach schon gekommen wäre. Aber es war noch jede Menge Wartezeit. Während also die meisten Eltern noch miteinander plauderten, die Kinder lachten und noch fröhlich Fotos gemacht wurden, wurde Philipp immer stiller. Und dann verabschiedete sich die Mama eines autistischen Junges, der daraufhin fürchterlich geweint und geschrien hat. Philipp wurde dann kurzerhand von der einen Erzieherin zu der anderen geschoben und als ich ihn dann angeschaut hab, wusste ich, jetzt ist es vorbei.

Die Mundwinkel gingen nach unten und die Augen füllten sich langsam mit Tränen. Ich bin hin und hab ihn in Arm genommen, hab versucht ihm wieder Mut zuzureden und Freude zu vermitteln. Er hielt sich an mir fest und schluchzte vor sich hin. Nach und nach haben alle versucht ihm zu vermitteln, wie toll das doch jetzt alles werden wird.

Doch Philipp hörte nicht mehr auf mit weinen. Seine Erzieherin meinte zunächst noch, es wäre besser, wenn wir auch gehen würden. Aber entschuldigt mal, welche Mama kann in der Situation sein Kind alleine lassen. Wäre es der Kindergarten, ein gewohntes Umfeld, dann okay. Aber nicht in einem Moment, der ihm deutlich Unbehagen bereitet und in dem er gerade völlig überfordert ist.

Der andere Junge hörte auch nicht auf mit schreien und Philipp lies sich zu seiner eigenen Aufregung mehr und mehr mit anstecken. Als der Zug dann endlich einfuhr, schmieß er sich auf den Boden und hat aus Leibeskräften gebrüllt. Zureden half nichts mehr. Mein Mann hat noch versucht ihn zum Zug zu tragen, wo die Erzieherin dann noch mal mit ihm geredet hat. Aber es war vorbei. Er schrie und zitterte am ganzen Körper krallte sich am Papa fest und hat versucht, als ich näher trat zu mir zu kommen. So mussten wir für ihn an dieser Stelle einfach abbrechen.

Die Tür des Zuges schloss sich wieder und Philipp hörte auf zu schreien und winkte dem davonfahrenden Zug hinterher und rief sogar noch "tschüss". Ich konnte dann nicht mehr anders als weinen. Es hat mir so leid getan. Ja, er weiß nicht, was er verpasst und es macht ihm auch nichts aus. Aber wir wissen es und das tut einem einfach leid. Und zudem ihn so zu sehen, in völliger Panik und man kann ihm in der Situation nicht richtig helfen, ist einfach schlimm. Natürlich wissen wir aus anderen Ereignissen, dass eine Änderung der Situation ihm aus der Panik hilft, aber ich meine mit "man kann ihm nicht helfen", dass wir ihm nicht helfen können seine Angst in dem Moment zu überwinden.

Natürlich hatten wir jetzt Sorge, dass es wieder eine Angst mehr wurde. Leider ist es ja so, dass gerade auch bei autistischen Kindern manchmal schon ein Ereignis reicht um so eine Angst zu manifestieren. Wir haben ja schon, sein Bett, das Schwimmbecken, wo er vorher so gerne drin war, Angst vor Bienen, schon bevor er jemals gestochen wurde oder gar gesehen hätte, dass jemand gestochen wurde. Und jetzt noch Züge, die er ja eigentlich so toll findet? Wir versuchten dem ganzen also gegenzusteuern. Wir wollten zur Begrüßung der Kindergartengruppe nochmals zum Bahnhof fahren, damit er sieht, dass alle wieder heil zurückkamen, auch der andere Junge, der so geschrien hatte. Seine Psychologin meinte, dies wäre auch eine sehr gute Idee gewesen. Ich fuhr also mit ihm wieder zum Bahnhof. Doch noch als wir auf den Parkplatz einbogen, hat Philipp bereits zum brüllen angefangen.

"Komm Philipp, wir wollen nur schauen", sagte ich zu ihm und versuchte ihn aus dem Auto zu locken. Aber es war nichts zu machen. Er hat sich in seinem Sitz von der Tür weggedrückt soweit er konnte. Es war nichts zu machen. Ich schloss die Tür wieder und saß mich auf den Beifahrersitz vor ihn. Ich machte ihm das Fenster auf, damit er besser rausschauen konnte, wenn der Zug kam, aber das war ihm auch wieder zu viel. Also schloss ich es wieder und ging als der Zug einfuhr zum Bahngleis hin. Es haben sich dann alle ganz besorgt um Philipp erkundigt und wollten ihn dann begrüßen als sie hörten, dass er im Auto war, aber schon als wir uns dem Auto näherten, hatte er sofort wieder angefangen zu schreien. Also blieben dann doch alle fern.

Tja seitdem haben wir es noch nicht wieder versucht zum Bahnhof zu gehen oder gar Zug zu fahren. Aber wir möchten zu Ostern einen kleinen Ausflug zusammen mit Oma und Opa machen und werden es da noch einmal versuchen in der Hoffnung, dass es doch noch klappt. Jetzt im Nachhinein haben wir alle gesagt, für die beiden Jungs, der eine autistisch und Philipp wahrscheinlich, wäre es besser gewesen, wir hätten sie ganz normal im Kindergarten abgeliefert und sie wären mit den Erzieherinnen zum Bahnhof gelaufen. Denn solche Ausflüge, auch wo sie dann gemeinsam Bus fahren, kennen sie ja bereits. Aber man weiß es leider vorher nicht. Wir hätten auch niemals gedacht, dass es ein Problem für Philipp wird, aber es wurde eins.