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Mein Name ist Philipp

Hallo, mein Name ist Philipp und ich bin 4 Jahre alt. Ich kann nicht richtig hören, darum trage ich meine Hörgeräte. Aber gefallen tut mir das nicht immer. Manchmal finde ich es gut, wenn ich nicht alles so laut höre. Wenn ich es ganz still haben möchte um mich auszuruhen, dann nehme ich meine Hörgeräte raus und verstecke mich ganz gerne im Kleiderschrank. Da drin baue ich mir dann ein kuscheliges Nest aus meinen Bettsachen und entspanne mich.

Oft verstehe ich die Erwachsenen nicht und auch andere Kinder. Ich meine, ich höre schon was sie sagen, aber ich verstehe einfach nicht, was sie von mir wollen. Ich sitze da und spiele mit meinen Duplo-Steinen und ich höre wie Mama redet. Meint sie mich? Ich weiß es nicht. Ich höre wie mein Name gesagt wird. Oder doch nicht? Ich weiß es nicht, denn ich denke gerade darüber nach, wie ich die Steine zusammenbaue. Während ich in meinen Gedanken bin, höre ich Mama, die immer noch redet und schon etwas lauter ist. Ich beschließe noch schnell die Steine fertig drauf zu bauen, um dann mal zu Mama zu sehen. Doch zu spät, da kniet die Mama schon neben mir und schreit "Sag mal Philipp, warum hörst du mich denn nicht?" Nur zu gern, würde ich ihr sagen, Mama ich hab dich doch gehört, aber das kann ich nicht. Und Mama redet weiter. Aber ich denke gerade darüber nach, warum Mama jetzt wohl böse ist. Ich hab sie doch gehört. Ich war doch nur beschäftigt, sie hätte nur kurz warten müssen. Warten - Ist es nicht das, was sie immer von mir wollen? Ich verstehe Mama's Problem nicht. Und dann kommt auch noch Florian dazu. Er nimmt mir wirklich alles weg. Jetzt möchte er die Gelegenheit wieder nutzen, während Mama mit mir redet und meine Duplo-Steine wegnehmen. Ich weiß schon, ich hab sehr viele Steine. Aber vielleicht nimmt er ja genau den einen Stein, den ich später für mein Haus, das ich baue, brauche. Ich nehme ihm den Stein lieber gleich wieder weg. Na klar, jetzt brüllt er wieder. Und zack, nimmt Mama mir den Stein wieder weg. "Philipp, es gibt so viele Steine. Lass dem Florian auch ein paar davon." Ja, Mama, aber vielleicht gibt es nur einen solchen Stein, den Florian genommen hat. Bestimmt brauche ich ihn. Aber aus meinem Mund kommt nichts. Wenn ich mich konzentriere, dann kann ich schon reden, aber meistens bin ich viel zu aufgeregt, wenn ich etwas sagen möchte. Und ich versuche dann ganz schnell zu erzählen, was in mir vorgeht und da kommt dann nur noch Wortsalat heraus.

Mama und Papa schaffen es trotzdem mich zu verstehen, meistens zumindest. Manchmal muss ich mich über eine Situation auch richtig ärgern und ich weiß auch gar nicht richtig warum. Meistens verstehe ich dann gerade nicht, warum etwas passiert. Das macht mir dann Angst. Mama und Papa reden dann mit mir, versuchen mich zu beruhigen. Aber ich komme nicht gegen diese Angst an. Ein anderes mal macht mich eine Situation so wütend, dass ich völlig außer mir um mich schlage und schreie. Ich möchte das nicht, aber ich kann dann auch nicht damit aufhören. Meine Gefühle platzen einfach so aus mir heraus! Freude, Angst, Wut ... - ich kann sie kaum steuern. Ich kann über ein zerrissenes Stück Schokoladenpapier weinen, als wäre das ein Weltuntergang und mich darüber kaputtlachen, wenn ich lachende Kinder auf dem Trampolin sehe und da dann mitmachen darf.

Ob andere traurig, wütend oder glücklich sind, kann ich nur schwer einschätzen. Ich weiß, wenn jemand lacht, dann ist etwas lustig. Ist es so lustig, dass ich lauthals mitlachen soll? Ich habe keine Ahnung. Ich weiß, wenn ich etwas Verbotenes mache, dann muss ich "Entschuldigung" sagen. Das tue ich auch. Aber manchmal weiß ich nicht, wenn jemand gerade ein böses oder kein glückliches Gesicht macht, ob ich daran Schuld bin. Also sage ich lieber zu dieser Person dann "Entschuldigung". Diese Person sagt dann meist "Philipp, du hast nichts gemacht, es ist alles in Ordnung". Aber das kann ich nicht so stehen lassen. Ich halte weiter meine Hand hin und wiederhole "Entschuldigung".

Mama und Papa sind toll. Ja sie schimpfen mich auch oft, was ich nicht immer verstehe. Aber sie verstehen mich, wie kein anderer. Sie passen immer auf mich auf, das weiß ich. Bei ihnen fühle ich mich sicher und kann so sein, wie ich bin. Ich gehe gerne in Kindergarten und bin total gerne bei meiner Tante und meinen Cousinen. Aber ich merke auch, dass andere Menschen mich nicht immer verstehen. Mir ist das egal. Denn ich brauche keine anderen Menschen. Wenn ich weine, weil ich wo nicht mitspielen darf, dann nicht wegen der Kinder, sondern weil ich das Spiel nicht haben kann oder weil ich in das Zimmer nicht rein darf. Ich mach mir nicht so viel aus anderen Kindern. Manchmal treffen wir, wenn wir draußen sind, Kinder aus meinem Kindergarten und die rufen dann "Hallo, Philipp". Ich frag mich wirklich, warum sie das machen. Ich antworte nicht. Warum auch? Das kann ich machen, wenn ich sie wieder im Kindergarten sehe.

Vielleicht trefft auch ihr mich mal draußen auf der Straße, auf dem Spielplatz, im Supermarkt oder im Schwimmbad. Manchmal kann es sein, dass ich euch auffalle. Vielleicht steht ihr im Schwimmbad im Kinderbecken an der Rutsche und redet auf mich ein, dass ich doch nicht die Rutsche hochklettern soll und ich reagiere einfach nicht - es tut mir leid, aber da habe ich keine Hörgeräte in den Ohren und zusammen mit dem Rauschen des Wassers und dem Kindergeschrei, verstehe ich leider gar nichts. Und seid auch nicht verwundert, warum Papa oder Mama mich nicht davon abhalten, sie geben wirklich ihr bestes das zu tun. Denkt bitte nicht, ich wäre unerzogen, weil ich im Supermarkt oder im Restaurant manchmal anfange zu schreien. Denn manchmal ist es mir einfach zu viel. Es kann auch sein, dass ich einen anstrengenden Tag hatte und es mir sehr schwer fällt, dann auch noch ruhig im Restaurant sitzen zu bleiben.

Ich bin nicht böse, unerzogen oder frech. Ich finde nur nicht immer die richtigen Gefühle zum richtigen Zeitpunkt und kann diese dann nicht richtig zum Ausdruck bringen. Wenn ich auf eure Anweisungen nicht reagiere, dann weil ich euch nicht höre oder die Worte nicht verstehe. Redet bitte langsam mit mir, Gebärden helfen mir, redet ruhig mit Händen und Füßen mit mir.

Ich bin Philipp, ganz normal, nur die Welt um mich herum ist nicht normal!