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Ich bin die Mama

Ich bin die Mama von zwei ganz tollen Jungs. Unser Großer, der Philipp und unser kleiner Mann, der Florian. Ich liebe meine kleine Familie. Ich hab mir immer eine Familie und am liebsten eine ganze Horde an Kindern gewünscht. Ich komme selber aus einer Großfamilie und das Aufwachsen mit vielen Geschwistern ist einfach wunderbar gewesen.

Nun jetzt sind wir bei zwei Kindern angekommen und ganz ehrlich gesagt, hinter Kind Nr. 3 steht mittlerweile ein Fragezeichen. Ich möchte jetzt dafür nicht Philipp die Schuld geben, aber der Umstand, dass es hier etwas wilder zugeht als vielleicht normal, trägt schon dazu bei etwas gründlicher über weiteren Familienzuwachs nachzudenken. Als wir erfahren hatten, dass Philipp schwerhörig ist, da waren wir geschockt und traurig für Philipp, aber wir hätten uns ja nie träumen lassen, was da noch alles auf uns zukommen würde. 

Zunächst einmal war Philipp ein wirklich so einfaches Baby. Hat quasi von Geburt an nachts durchgeschlafen, war nicht quängelig nichts. Alles war super. Als er größer wurde, haben wir dann schnell gemerkt, dass er absolut nicht darauf hörte, wenn wir was zu ihm sagten (zu dem Zeitpunkt trug er schon Hörgeräte). Er hat nur gelacht und weiter gemacht. Soweit ja auch normal, gleiches Verhalten erleben wir jetzt bei Florian. Nur dass dieser, wenn man es paar mal gesagt hat, dann auch macht. Er machte wirklich strikt das Gegenteil von dem, was man von ihm wollte. Ich hatte ständig das Gefühl, er will mich provozieren, was er auch oft genug geschafft hat und auch heute noch. Wenn dich dein Kind immer noch frech auslacht, während man schon am Schreien ist, dann läuft doch etwas verkehrt! Schon früh hat er sich aufgrund seines Verhaltens den Spitznamen "Monsterchen" eingefangen. Denn nicht nur uns liebte er zu ärgern, sondern vor allem auch andere Kinder. Fingen die an zu kreischen und schreien, war das für ihn ein Riesenspaß und er machte noch weiter.

Wo war nur der liebe süße Philipp hin? Ich weiß es nicht. Ich liebe ihn immer noch, aber ja, ich bin wirklich froh, wenn er abends dann im Bett ist und endlich schläft. Als ich mit Florian schwanger war, wurde es mit Philipp schließlich wirklich anstrengend. Er wurde immer größer und stärker und ich hatte Mühe ihn noch unter Kontrolle zu bekommen, wenn er ausflippte. Das war dann auch die Zeit, wo es für ihn schrecklich war, wenn der Papa das Haus verließ um in die Arbeit zu gehen. Er weinte und schrie, schlug um sich und ich konnte ihn mit nichts beruhigen. Manchmal dauerte es über eine Stunde bis er sich wieder einigermaßen gefangen hatte. Es brach mir jedes mal das Herz ihn so leiden zu sehen. Ich wollte ihm helfen, konnte aber nichts tun. Es war zum Verzweifeln, vor allem für ihn.

Zu dieser Zeit fielen mir immer mehr Dinge an ihm auf, die mir einfach seltsam vorkamen. Wie ich schon erwähnte, ich komme aus einer Großfamilie und wir haben bald mehr Kinder als in einem Kindergarten. Ich hatte also jede Menge Vergleiche. Ich weiß nicht mehr, wann mir der erste Verdacht auf Autismus kam. Viele Sachen, die Philipp machte (und bis heute auch noch macht), sein Verhalten, sein Nicht-Reden, obwohl er Hörgeräte hat und gefördert wird, deuteten darauf hin.

Ich bin ein sehr kopflastiger Mensch. Wenn mir etwas im Kopf herumschwirrt, dann versuche ich alles darüber zu erfahren, bis ich für alles eine Antwort habe. Ich habe alles gelesen, was ich über das LVAS finden konnte, über Schwerhörigkeit und jetzt über Autismus. Ich kann nicht anders, ich brauche dieses Wissen, um mir selbst die Sicherheit zu geben, bestimmt nichts falsch zu machen oder etwas zu übersehen. 

Und dann kam ja erst mal Florian und brachte unsere Welt wieder ein bisschen durcheinander. Wahrscheinlich war das für Philipp genauso seltsam wie für mich, oder noch seltsamer. Plötzlich war da dieser kleine Wurm, der meine volle Aufmerksamkeit brauchte. Wie auch Philipp, stillte ich auch Florian. Was das heißt, brauche ich Still-Mamas nicht erklären. Ich merkte auch so, dass Philipp sich etwas von mir zurückzog. Selbst zu den Zeiten, wo Florian schlief, kam er nicht zu mir. Er suchte meine Nähe gar nicht mehr. Und er hat mir in dieser Zeit wirklich sehr gefehlt. Wir waren so lange ein Zweier-Team (zumindest in der Zeit, wo der Papa in der Arbeit war) und das schien jetzt nicht mehr so zu sein. Ich war traurig. Ich sah, wie er mehr den Kontakt zum Papa suchte. Und irgendwie hat es sich dann so eingespielt, dass ich quasi für Florian zuständig war und der Papa für Philipp.

Jetzt und heute haben wir für Philipp immer noch keine eindeutige Diagnose. Es heißt er zeigt autistische Züge, die sich aber mit seiner Schwerhörigkeit erklären lassen. Wir glaubten der Ärztin und wir waren auch erleichtert, als sie uns das so erklärt hatte. Mittlerweile hätte ich keine Angst mehr vor einer Autismus Diagnose. Ich weiß mein Sohn ist anders als die meisten Kinder, ich weiß er ist anders als die meisten schwerhörigen Kinder. Ich weiß nicht, ob er autistisch ist. Ich weiß manchmal nicht, ob andere Menschen mich verstehen, ob sie Philipp verstehen. Ja, manchmal weiß ich nicht mal, ob mich mein Mann immer versteht. Er ist ein sehr guter Papa. Ist er gestresst nach der Arbeit? Ja, sicher. Er arbeitet auch viel. Trotzdem gibt er sich immer die größte Mühe, den Jungs gerecht zu werden, mit ihnen zu spielen, Quatsch zu machen. All die Dinge, die Väter machen und eben nicht die Mütter. Ich habe nur manchmal das Gefühl, er möchte eben nicht wahrhaben, dass Philipp anders ist. Für gewöhnlich sieht bei uns ein Tag so aus, dass im Laufe des Tages Philipp mich mit seinen Aktionen soweit bringt, dass ich irgendwann zum Schreien anfange. Viele seiner Dinge, die er macht, möchte ich hier gar nicht weiter aufführen, da er bestimmt später nicht möchte, dass das über ihn im Netz steht. Aber ich hasse es, ihn anzuschreien. Vor allem, wenn er mich dann mit seinem typischen Blick anschaut und ich weiß "er hat jetzt absolut nicht verstanden, warum ich sauer bin". Ich wünschte, mein Mann hätte mehr Zeit für uns zuhause, aber unsere Lebensumstände erfordern es nun leider, dass er viel arbeiten muss, nicht zuletzt auch deshalb, damit ich bei den Kindern sein kann. Aber das letzte was ich möchte, ist ein noch strengerer Papa, der noch mehr schimpft. Wie schon gesagt, ich habe vollstes Verständnis, dass die Nerven auch schneller blank liegen, nach einer stressigen Arbeit. Und auch, wenn ich oft schimpfen muss, so empfinde ich es trotzdem als ungerecht, wenn mein Mann dies bei Philipp tut. Meinetwegen könnte er ruhig die Rolle des guten Polizisten übernehmen, die des schlechten übernehme ich und wird von meinen Jungs eh nicht als solche aufgefasst. 

Ich fühle mich manchmal von meinem Mann im Stich gelassen. Nicht in der Hinsicht, dass er nicht für uns sorgt oder mir hier im Haushalt manchmal hilft. Aber ich würde mir manchmal mehr mentale Unterstützung von ihm wünschen. Ich hab so oft das Gefühl, dass er das was ich über Philipp sage nicht ernst nimmt. Viele Streitereien beginnen mit dem Satz "Schau mal, wenn er wirklich autistisch ist, dann kann er vielleicht gar nicht anders, er versteht es nicht..." In dem Moment, wo die Situation gerade am Überkochen ist, weil Philipp wieder richtigen Blödsinn gemacht hat, bringt diese Art von Gespräch rein gar nichts. Ich glaube für meinen Mann ist es ungleich schwerer zu akzeptieren, dass Philipp so aus der Reihe tanzt und noch schwerer zu akzeptieren, dass Florian sich so völlig anders entwickelt. Philipp war immer sein Liebling, der erste Sohn, aber die Probleme, die wir mit ihm haben, haben seine Spuren hinterlassen. Mein Mann liebt die beiden das weiß ich. Aber er ist gestresst von der Situation. Gestresst von Philipp, traurig, dass es nicht der Sohn ist, von dem er geträumt hat, traurig darüber, dass Florian jetzt das alles ist, was er in Philipp haben wollte. Und trotzdem kann er sich über Florian nicht richtig freuen. 

Ich liebe alle beide. Ja mich macht es auch traurig, dass Philipp sich bis jetzt nicht normal entwickelt hat. Und trotzdem sie sind beide auf ihre Weise das tollste, was mir in meinem ganzen Leben passiert ist. Und ich liebe meinen Mann. Wir haben eine schwierige Zeit hinter uns und ich bin sicher die nächsten Jahre werden nicht leichter werden. Alles was ich mir wünsche, ist, dass unsere Familie nicht daran scheitert.