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Und dann stolperten wir wieder über rollende Augen

Eigentlich wollte ich ja endlich mal einen positiven Artikel schreiben. Positiv, denn seit einigen Wochen ist es bei uns zuhause echt ruhig. Philipp ist seit einiger Zeit wirklich total ausgeglichen und viele Dinge funktionieren zur Zeit einfach so. Das beste überhaupt, ich kann abends die beiden Jungs ins Bett bringen (bin meistens abends alleine), kuschel noch kurz mit ihnen, sing was vor und geh dann aus dem Zimmer. Früher war das so, sobald man Philipp alleine lies, sprang er aus dem Bett und rannte herum, kam xmal wieder runter ins Wohnzimmer. Egal was man machte, er blieb nicht im Bett. Das war so seitdem er klettern konnte, also mit nem guten Jahr. Er kletterte über das Bettgitter. Woraufhin wir irgendwann die Gitter aufgelassen haben, damit er nicht im Dunkeln runterfällt. Ja und seitdem war jeden Abend das gleiche Theater. Doch jetzt nicht mehr, er steht vielleicht noch einmal auf, dann geht man noch mal zu ihm und dann ist gut. Puh, endlich nach einem anstrengenden Tag wieder ein bisschen Abend für sich bzw. uns haben.

Wir können momentan sogar ohne "Zwischenfälle" mit ihm Spazierengehen. Im Normalfall sieht das so aus, dass er dauernd wegrennt, was sich vor allem gut macht, wenn ich alleine mit ihm und Kinderwagen unterwegs bin. Aber zur Zeit macht es wieder richtig Spaß mit ihm rauszugehen. Er rennt nicht weg, er schmeißt sich nicht auf den Boden, wenn wir ihn vom Wegrennen abhalten. Selbst wenn er mit seinem neuen Fahrrad fahren darf, bleibt er stehen, wenn wir stop rufen.

Das sind jetzt nur zwei Dinge, die bei uns momentan super laufen und es ist echt gerade so schön mal etwas entspannter zu sein. Umso blöder lief der gestrige Tag.....

Das Osterwochenende ist rum, es lief auch nicht alles so strukturiert, was es nie tut, wenn Besuch da ist. Aber Philipp hat sich gut gehalten und er war immer noch gut drauf. Hatten für gestern nachmittag einen Termin beim Hörgeräte-Akustiker zur Kontrolle der Hörgeräte und um einen Hörtest zu machen. Und weil das Wetter so schön war, sind wir früher in die Stadt gefahren, sind durch die Altstadt gebummelt, haben noch Pause in einem Café gemacht, bevor wir dann zum Akustiker gingen. Auch dort war er noch zunächst ganz gut drauf. Da unsere Akustikerin alleine war und noch mit dem vorherigen Termin nicht fertig war, mussten wir also noch warten. Warten, etwas was Philipp nur ganz schwer kann. Er wurde zunehmends unruhiger und wollte auch nicht mehr sitzen bleiben oder ruhig sein. Schließlich war Philipp an der Reihe und die Akustikerin wollte mit dem Hörtest starten. Doch zu diesem Zeitpunkt war Philipps Konzentration schon gleich null. Er hatte kein Interesse auch nur in irgendeiner Weise mitzumachen. Er hat dann immerhin bei der Messung stillgehalten, aber das war dann auch alles.

Und weil ja der Tag noch nicht voll genug war, haben wir noch ein Geschenk für meine Nichte besorgt, die in ein paar Tagen Geburtstag hat. In dem Spielzeugladen haben wir auch noch neue Malfarben gekauft, woraufhin sich Philipp sicher war, dass er gleich malen konnte (Acrylfarben). Und da wir alle Hunger hatten gingen wir zum krönenden Abschluss zu dem schon anstrengenden Tag (zumindest für die Kinder, insbesondere Philipp) zum Buffet Essen zum Asiaten. Philipp hat sich gefreut, lief auch freudestrahlend und "Essen" rufend zum Eingang. Ihm gefällt aber mehr das Ambiente dort, als dort zu essen, ein großes Restaurant, wo er einfach zu gerne zwischen den Tischen umherrennt. 

Wir waren schon am frühen Abend dort, das Restaurant war noch so gut wie leer. Wir schauten, dass die Kinder was zu essen hatten und vor allem Philipp so lange sitzen bleibt, bis er was gegessen hatte. Wir sitzen grundsätzlich in der Nähe vom Eingang, damit er uns nicht abhauen kann. Wir erlaubten ihm schließlich, dass er in die Spielecke gehen darf, die dummerweise direkt neben der Eingangstür ist. Normale Kinder laufen da ja nicht einfach raus, Philipp schon. Heißt für uns, man lässt ihn nicht aus den Augen.

Kurze Zeit später kam noch eine Familie mit einigen Kindern und Philipp hat sich gleich mit dem Jüngsten verstanden. Ich hörte, wie er ihm Lieder von den Jonalu Mäusen vorsang, was ich echt süß fand. Selten versucht er mit fremden Kindern so schnell zu kommunizieren. Es dauerte natürlich nicht lange und die beiden liefen laut lachend zwischen den Tischen umher.

Und während mir die Tränen kamen, rollten andere schon mit den Augen. Der kleine Junge musste dann irgendwann zu seinen Eltern an den Tisch zum Essen. Und da sahen, vielmehr hörten wir von Philipp etwas, dass wir zwar von ihm kannten, wenn er alleine irgendwas redet, aber nicht als offensichtlichen Kommunikationsversuch. Er lief umher und rief ganz laut "Hallo. Wo bist du?" Ja, er rief es sehr laut. Ist das unpassend im Restaurant, ja natürlich gar keine Frage. Aber wir waren so geplättet, dass er so schön redet, etwas sagt, dass in der Situation auch noch Sinn macht. Nein, das ist bei uns leider nicht selbstverständlich. Und ich war wirklich gerührt. Wenn da nicht schon wieder einige Leute gewesen wären, die gleich geschaut haben, warum er so rumschreit. Als der Junge dann wieder auftauchte und sie wieder rumrannten, bat die Kellnerin die beiden schließlich ruhiger zu sein. Mein Mann holte ihn daraufhin an den Tisch, woraufhin er fürchterlich anfing zu weinen und zu schreien.

Jetzt brach alles aus ihm heraus, was sich den Tag über aufgestaut hatte. Die Auswirkungen vom Osterwochenende, der lange Tagesausflug in die Stadt, das Stillsitzen beim Akustiker, nicht sofort malen zu dürfen und jetzt durfte er wieder nicht laufen und sollte stillsitzen. Mit ihm in dieser Situation ruhig reden, bringt absolut nichts. Ich habs versucht. Der Kellnerin glaub ich tat es wirklich leid. Sie brachte dann Schokohasen-Lollys für alle Kinder und kam zuerst zu Philipp. Aber er war so wütend, dass er ihr diesen fast aus der Hand schlug, hätte ich (das kommen sehend) nicht vorher meine Hand dazwischen gehabt. Ich versuchte es paar Minuten ihn zu beruhigen, aber alle Ablenkversuche scheiterten. Ich bemerkte, wie die Leute ihn anstarrten und sah verhaltenes Kopschütteln. Wut stieg in mir hoch. Und Wut ist wirklich das letzte, was die Stimmung in eine positive Richtung lenkt. Ich machte also das einzig richtige in dieser Situation. Ich nahm Philipp an der Hand und verließ das Restaurant. Nicht weil es mir peinlich war, nicht weil ich den Leuten ihre Ruhe zurückgeben wollte, ich wollte Philipp einen Ausweg aus seiner Wut schaffen. Ich hab draußen noch mal versucht mit ihm zu reden, das führte aber nur dazu, dass er seine Hörgeräte rauswarf. Ich setzte sie ihm wortlos ein und sagte nur "Komm lass uns zum Auto gehen". Wir hüpften also Hand in Hand los und ich stimmte eines seiner Jonalu Lieder an. Beim Auto angekommen, war die Welt schon wieder fast in Ordnung.

War es sein Fehler? Nein. Wir hätten es besser wissen müssen. Wissen müssen, dass ihm ein so vollgepackter Tag (auch wenn er für uns entspannend war) zu viel war. Das nächste mal holen wir eine Pizza und fahren nach Hause, dann ersparen wir Philipp und uns eine aufreibende Situation und stolpern nicht über rollende Augen.