· 

Die Geburt unseres zweiten Sohnes

Wir hatten uns sehr auf unseren zweiten Sohn gefreut. Er ist, wie schon sein großer Bruder Philipp, ein absolutes Wunsch-Kind.

Und dann war es endlich so weit. Die Freude war groß, endlich war unsere Familie wieder gewachsen und wir konnten unser jüngstes Familienmitglied in die Arme schließen. Mit Spannung erwarteten wir die Reaktion von Philipp auf das kleine Baby, wenn er von der Tante ins Krankenhaus gebracht werden würde. Aber das verlief anders als wir erwarteten, denn er warf einen schnellen Blick auf Florian und fand ihn dann nicht weiter interessant.

Ich war dann etwas traurig, weil er gar nicht zu mir kommen wollte. Ich hatte Flo extra in sein Bettchen gelegt, als Philipp kam, damit er nicht von vornherein einen Grund zur Eifersucht hatte. Aber trotzdem machte er keine Anstalten zu mir zu kommen. Im Nachhinein muss ich sagen, als ich Fotos von dem ersten Tag gesehen habe (frisch nach dem Kaiserschnitt), war er vielleicht einfach vom Anblick seiner Mutter erschrocken, die da kreidebleich im Bett lag und das noch dazu im Krankenhaus, ein Ort wo er schon wusste, dass da immer etwas "passiert".

 

Und schließlich wurde ja am nächsten Tag dann das Neugeborenen-Hörscreening gemacht. Wir waren so aufgeregt: Hatten auch der Schwester dann schon alles von Philipp erzählt, als die wegen seiner Hörgeräte nachgefragt hatte. Die Zeit wo sie dann mit Florian bei der Untersuchung war, schien endlos langsam zu verstreichen. Endlich ging die Tür wieder auf und die Schwester kam freudestrahlend zurück. "Es ist alles in Ordnung, auf beiden Seiten ist die Messung unauffällig."

Ich glaube, ich habe noch nie in meinem Leben so eine Erleichterung gespürt, wie in diesem Moment. Und trotzdem ohne, dass ich es wirklich bewusst wollte, wurde diese Freude von einer Trauer überschattet. Trauer darüber, warum bei dem einen Kind alles gut ist und eine Laune der Natur es wollte, dass unser erster eben schwerhörig auf die Welt kam und vielleicht noch andere Störungen bedingt dadurch oder zusätzlich hatte. Egal wie ich es drehen und wenden wollte, sah ich Philipp an, hatte ich ein schlechtes Gewissen im gegenüber aufgrund der Freude und bei Florian hatte ich ein schlechtes Gewissen, weil ich traurig war.

Vielleicht hätte ich nicht so empfunden, wenn bei Philipp alles trotz seiner Schwerhörigkeit bis dahin normal verlaufen wäre, aber das war nicht so. Er war zum dem Zeitpunkt fast drei Jahre, sprach gerade mal 50 Wörter, darunter war noch nicht einmal "Mama" oder "Papa". Alle Vorhersagen der Ärzte, wie alles mit ihm weitergeht, dass er trotzdem normal reden werden kann und und und, waren bis dahin nicht eingetroffen. Und bis heute, wo ich gerade diesen Artikel schreibe hat sich diesbezüglich nicht viel geändert. Philipp ist jetzt 4 1/2 Jahre und wir sind bei guten 100 Wörtern, keine Sätze. Er sagt jetzt "Mama" und "Papa", aber er ruft uns selten, eher werden wir benannt wie Dinge.

Unser Florian ist heute 1 1/2 Jahre und entwickelt sich völlig normal. Hat zwar noch keinen größeren Wortschatz als wie Philipp, aber kommt diesem schon sehr nahe. Wir sind stolz auf ihn und erstaunt, erleben zum ersten mal an unserem eigenen Kind, wie eine "normale" Entwicklung sein kann.

Ja, manchmal erwische ich mich noch dabei, dass ich traurig werde, dass ich mit den Tränen zu kämpfen habe, wenn ich sehe, dass Florian Dinge macht, die Philipp bis jetzt nicht kann. Aber ich habe es akzeptiert für Philipp, für Florian und für mich. An meiner Liebe zu beiden wird sich daran nichts ändern. Sie sind beide wahre Sonnenscheine und nicht nur Florian sondern auch Philipp, der es in vielerlei Hinsicht schwer hat, sind so fröhliche Kinder und bereichern jeden Tag unser Leben.