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Wenns mal wieder länger dauert oder wie erzieht man einen Vulkan

Wenn ihr länger nichts von uns hört, dann hab ich entweder andere Projekte am Laufen oder die Jungs halten mich wieder mal mächtig auf Trab, allen voran natürlich Philipp. Da ich mein winterliches Hobby, das Stricken, bereits wieder an die "Nadel" gehängt habe, nachdem die ganze Familie mit flauschigen neuen Schals versorgt ist und ich weitere gestrickte Neuanschaffungen gerne in Omas Hände gegeben habe, sieht es momentan eher so aus, dass mich die Jungs in der letzten Woche in den Wahnsinn getrieben haben. Ein Monster krank, aber nicht so krank um nicht zu streiten und Unordnung zu machen und das große Monster gerade auf Pfaden seines verborgenen Ichs unterwegs, das uns hier alle tyrannisieren möchte.

Ein Teil der Verwüstung nach Philipps Wutausbruch
Ein Teil der Verwüstung nach Philipps Wutausbruch

Unser kleiner süßer Florian, der Sonnenschein in der Familie, mit seinen großen blauen Augen und einem engelsgleichen Augenaufschlag, macht gerade eine Metamorphose der besonderen Art durch. Mit dem Austesten wie viel Macht wohl in einem "Nein" oder "Will nicht" liegt, versucht er gerade seinen Kleinkinderschuhen zu entwachsen. Der kleine Mann wird groß und mischt hier gerade unsere Familie wieder richtig auf. Auch Philipp bleibt davon nicht unberührt, denn auch an ihm versucht er sich natürlich zu messen. Doch sein großer Bruder macht da kurzen Prozess mit ihm und somit steht schreien, hauen, zwicken, beißen, kratzen und das wildeste Gekreische und Geheule auf unserer Tagesordnung. Ein Traum, der morgens um halb 6 beginnt und abends kurz bevor wir selber auch einschlafen endet. Noch nie hab ich meinen Mann mehr um seine 10 Stunden Arbeit beneidet.

Philipp selbst hat gerade auch wieder mal einen Punkt erreicht, wo er sein "verborgenes Ich" wieder zu Tage holt. Nachdem es jetzt so lange super geklappt hatte mit ihm und wir dachten, er sei auf dem besten Wege, hat man in letzter Zeit doch gemerkt, der Vulkan brodelt noch. Einzelne Tage, wo dieser schon mal etwas Lava spuckte, aber noch kein Grund zur Evakuierung war, ließen die Gefahr erahnen, auf die wir uns zubewegten. Und wenn wir gerade beim Thema spucken sind, eine neue Eigenart, die sich unser Philipp zugelegt hat. Zum ersten mal hat er sich dieser Waffe seinen Unmut kund zu tun, ausgerechnet bei der neuen Frühförderin, bedient. Peinlich, peinlich. Mein Mann stand ihm am nächsten und hat ihn gleich geschimpft. Ich war ein wenig sprachlos. Spucken ist für mich absolut respektlos und nicht akzeptabel. Die Frühförderstunde lief dann dank Knete noch recht gut. Anschließend hieß es zum Hörgeräteakustiker fahren, seinem Ohrpassstück einen neuen Schlauch einsetzen lassen, da er diesen in einem Wutanfall im Kindergarten auseinandergerissen hatte. Weitere kleine Anzeichen für einen baldigen Ausbruch folgten.

Schließlich folgte Tage später der Super-Gau. Philipp steht ja zumeist lange bevor unser Wecker klingelt auf und sein erster Gang ist direkt nach unten ins Wohnzimmer. Um was zu tun? - Tablet spielen. Jetzt kam es aber, dass an diesem einen Morgen das gute Stück nicht aufgeladen war und das Ladekabel nicht da lag, wo es normal liegt. Ich komm runter, mach die Tür zum Wohnzimmer auf und sehe gerade noch, wie ein Tablet, begleitet von einem wütenden Schrei, quer durchs Zimmer flog. Dass das Tablet einen derartigen Freiflug nicht unbeschadet überlebt, muss ich euch wahrscheinlich nicht erklären, Philipp war das hingegen wieder mal nicht bewusst. Da es früh am Morgen war und er bis sein geliebter Bus kommt, sowieso eineinhalb Stunden bald alleine mit Frühstücken und Anziehen beschäftigt ist, war die Konsequenz aus seinem Handeln auch erst mal nicht weiter wichtig für ihn. Da wir ja nach unzähligen zerstörten Tablets mittlerweile schlauer geworden sind, haben wir ja dieses mal beim Kauf eine Versicherung abgeschlossen. Also haben Flo und ich das Ding vormittags dann weggebracht. Schocknachricht: Die Reparatur bzw. die Bearbeitung, ob wir dann ein neues bekommen, würde bis zu 4 Wochen dauern. Oha, das wird spaßig, dachte ich mir.

Und ja, es wurde spaßig. Philipp kam mittags nach Hause und da war es weg. Ein fast eineinhalbstündiger Wutanfall, mit Sachen schmeißen, einem kaputten Puppenhaus, einem Florian, der Angst hatte und vielen Tränen bei Philipp waren die Folge. Ich konnte gar nicht so schnell die Sachen in Sicherheit bringen, wie Philipp durchs Zimmer wütete und alles mit sich riss, was er zu fassen bekam. Selbst unseren zwei Meter langen Esszimmertisch hat er fast umgeworfen. Eine zwischenzeitliche Verschnaufspause, bei der er auf meinem Schoß saß und sich an mich schmiegte, endete mit dem Versuch mich ins Schlüsselbein zu beißen, als seine Wut erneut aufflammte. Es endete schließlich damit, dass mein Mann sagte, hol irgendein günstiges Tablet für den Übergang, bevor er noch mehr Sachen kaputt macht.

Da war sie wieder, diese verdammte Ohnmacht, die uns zur Inkonsequenz treibt. Hat er kein Recht darauf, ein neues Tablet zu bekommen? Gar keine Frage, hat er nicht. Aber WIR! 

Wir haben dieses Recht dazu. Wir müssen uns in vielerlei Hinsicht im Alltag so einschränken, Spontanität ist oft nicht möglich, oder man bekommt später die Quittung dafür, der ganze Tag durchstrukturiert, wenig Schlaf und immer darauf gefasst sein, was als nächstes kommt. Wir sind auch nur Menschen und genießen die Ruhe, die wir gelegentlich haben. Und wenn dazu zählt, dass Philipp mittags nach dem Kiga Tablet spielt, während sein Bruder Mittagsschlaf hält, dann ist das so. Ja, ich weiß, es hört sich nach einer Mutter an, die verzweifelt eine Ausrede sucht, für den nicht angebrachten Medienkonsum ihres Kindes. Wir sind auch froh, wenn er das Teil nicht dauernd in den Händen hat und es gab Phasen, da war es wirklich ein Kampf ihn davon weg zu bekommen. Jetzt ist es so, dass er seine Zeit hat, wo er damit spielt und dann aber auch wieder andere Beschäftigungen sucht.

Aber bei allen Entschuldigungen für unsere Inkonsequenz bleibt eine Tatsache bestehen, unser kleiner Terrorzwerg war wieder da, wenn auch nur für einen Moment. Er kam, schmiss und siegte. Wieder mal. Wieder ergoss sich eine derartige Woge der Wut über ihn, dass er völlig unkontrolliert alles um sich herum zu zerstören versuchte. Das geht nicht spurlos vorüber. Während er, mit dem Versprechen, dass am nächsten Tag sein Tablet da ist, mit meinem Handy spielen durfte und mir ganz viele Küsschen gab und ich viele "Mamas" zur Aufforderung bei ihm zuzuschauen zu hören bekam, war ich müde. Müde vom Tag, müde von diesem Emotionsausbruch. Und während ich ihn so anschaute und seine Freude sah und seine Liebe bei jeder Umarmung spürte, kamen mir doch wieder Stimmen in den Kopf. Sätze, die ich zu hören bekam "Philipp hat Macht über dich" "Wenn er mal groß wird, dann werden sie nicht mehr gegen ihn ankommen". Sätze, die mich, als sie gesagt wurden, wütend gemacht bzw. geschockt haben. Sätze, die mich aber nicht loslassen und die insgeheim eine Angst in mir geschürt haben. 

Strategien zur Erziehung überdenken, Lösungen suchen, mein Kind lieben. Die Angst soll mich nicht im Griff haben, immer mit dem Gedanken, dass die Liebe, die mir Philipp entgegenbringt, so aufrichtig und ehrlich ist, wie die Wut, die in ihm brodelt und ab und dann ausbricht. Er wird älter und verständiger und immer öfter gelingt es diese Wut umzulenken, manchmal aber eben nicht. Damit leben und lieben wir.