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Toleranz ja, aber bitte nur fürs eigene Kind

Ich bin ja jemand, der nicht müde wird immerfort dafür zu kämpfen, dass die Menschen unseren Philipp verstehen. Verstehen und tolerieren. Ich möchte, dass Philipp in unserer Familie akzeptiert wird, in unserem Umfeld und ich hoffe, dass wir die Öffentlichkeit einfach aufmerksamer machen. Ich rede über Philipp, gewünscht oder nicht, und ich schreibe all diese Beiträge, in der Hoffnung ein wenig Einfluss auf das Bewusstsein der Gesellschaft zu nehmen. Mein Fokus, aufzuklären für mehr Toleranz, richtete sich bisher vor allem an Nicht-Betroffene. Ich dachte, dort muss Überzeugungsarbeit geleistet werden. Aber ist das alles?

Immer wieder stoße ich in einigen Gruppen auf Feindseligkeiten untereinander. Oftmals kein Verständnis. Typisches "Ich kann nicht über meinen Tellerrand schauen"-Verhalten. Eltern, die neu in der Thematik sind und im Netz auf Themen wie "Autismus als Impfschaden" oder "Autismus heilen durch Nahrungsumstellung" aufmerksam werden und dann den katastrophalen Fehler machen, in den Gruppen nach Infos darüber zu fragen. Wenn jemand schon schreibt "Hallo, ich bin neu ...", kann man dann nicht einfach freundlich antworten, anstatt jemanden gleich fertig zu machen? Ich halte auch absolut nichts von so manch fragwürdigen Theorien und denke, manche sind sogar gefährlich. Aber die Eltern, die nachfragen, können nichts für das, was von anderen verbreitet wurde.

Noch mehr erstaunt und ja verärgert es mich, wie teils mit Autisten in den Gruppen umgegangen wird. Was nicht verstanden wird, toleriert man nicht. Es gibt jugendliche und erwachsene Autisten, die einfach keine behutsame Kindheit erleben durften, die nicht mit viel Liebe und Geduld der Eltern ihren Kokon verlassen konnten. Junge Autisten, die so viel Zurückweisung, Demütigungen und psychische Gewalt erleben mussten. Die Folgen sind Wut, Frustration bis hin zu Kriminalität. Jetzt ist das sicherlich nicht ein Teil des Autismus. Aber es ist ein Problem, das jedes unserer Kinder ereilen kann. 

Sollen wir sie dann alle aufgeben? Wir würden doch unser eigenes Kind auch unterstützen, wo wir nur können und würden uns auch wünschen, dass sie in der Gesellschaft helfende Hände finden.

Aber selbst innerhalb "unserer Gemeinschaft besonderer Eltern" geht das Verständnis oft nicht über das fürs eigene Kind hinaus. "Wenn das Kind schlägt, beißt und mein Kind Angst hat, dann kann das doch nicht auf diese Schule gehen." Aggressionen sind nicht erwünscht, völlig klar. Und vor allem möchten keine Eltern, dass das eigene Kind aggressivem Verhalten ausgesetzt ist. Dabei urteilen wir aber doch ein bisschen schnell.

Der elterliche Instinkt die eigenen Kinder zu schützen, steht da der Toleranz im Weg. Aber wie können wir vollkommene Akzeptanz für unsere besonderen Schützlinge erwarten, wenn wir selbst nicht zu uneingeschränkter Toleranz in der Lage sind?

Ich erzähle über Philipp, entschuldige ihn nicht, aber erkläre täglich sein Verhalten und hoffe, dass er und wir verstanden werden. Und genau das gebe ich zurück.

Verständnis.

Verständnis nicht nur für mein Kind.

Verständnis für jede Besonderheit des Lebens.